Geschichte der Bücher und Bibliotheken

14. Januar 2021

Birgit Constant

Bücher, Bibliotheken und der freie Zugang zu beidem sind für uns heute selbstverständlich. Das war aber nicht immer so. Anlässlich des 24. Oktobers, an dem seit 1995 jedes Jahr der Tag der Bibliotheken gefeiert wird, bin ich in die Geschichte der Bücher und Bibliotheken eingetaucht und nehme Sie heute mit in eine Zeit, in der Bibliotheken im Gegensatz zu heute nur wenigen privilegierten Leuten zur Verfügung standen.

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Von der Höhlenmalerei zum gebundenen Buch

Höhlenmalerei (Lascaux) (Image by Klaus Hausmann from Pixabay)

Jagdszene aus der Höhlenmalerei bei Lascaux

Höhlenmalerei und mündliche Erzähltradition zeigen: Die Menschen haben schon immer Geschichten geliebt, und obwohl man sich antike und mittelalterliche Texte eher als Schriftrollen oder handgeschriebene Lose-Blatt-Sammlungen vorstellt, gibt es gebundene Bücher tatsächlich schon seit dem 1. Jhd. n. Chr. Damals entstanden nämlich statt Manuskripten, meist in gerollter Form, vermehrt so genannte Kodizes.

Das Wort Kodex stammt aus dem Lateinischen und steht für den Baumstamm bzw. das zu Schreibtafeln gespaltenes Holz. Später geht die Bedeutung zu dem über, was auf diesen Tafeln geschrieben ist, der Codex als Urkunde, Buch, Verzeichnis, später auch die Handschrift.

Während die ersten Bücher Einbände aus Holz hatten, eben jene Schreibtafeln, kamen im 2. Jhd. n. Chr. Bücher mit weichem Einband aus Pergament oder Papier auf, ähnlich modernen Taschenbüchern.

Schriftrolle (Image by joduma from Pixabay)

Vorgänger des Buches: Schriftrollen

Anfang des Mittelalters finden sich dann erste Bücher mit Einbänden aus Holz, die mit Leder bezogen waren. Das älteste derart gebundene westliche Buch ist das St.-Cuthbert-Evangelium  aus dem 8. Jhd. n. Chr., bei dem die Holzbretter und der Ledereinband durch ein lehmartiges Material verbunden sind.

Spätere mittelalterliche Buchbindungen enthalten auch Klammern bzw. werden zunehmend mit Stoff eingebunden, der nicht so empfindlich gegen Feuchtigkeit ist wie Pergament.


Namensgebung 1: Seit wann ist ein Buch ein Buch?

Mit dem Siegeszug der Bücher entstand auch ein eigener Name für den Gegenstand selbst. In den germanischen Sprachen findet man ab dem frühen Mittelalter (8. Jhd.) Varianten einer vermuteten germanischen Wurzel *bōks als Bezeichnung für die gebundenen Texte, etwa Althochdeutsch buoh, Altsächsisch bōk, Mittelniederländisch boec, Altenglisch bōc, Altnordisch. bōk oder Gotisch bōka. Stand der Singular ursprünglich für „Buchstabe“, „Rune“ oder auch „(zum Los bestimmtes) Runenstäbchen“, entwickelte sich der Plural schließlich in die Bedeutung „Schriftstück“, „Urkunde“, „Buch“ als Bezeichnung für geheftete oder gebundene Lagen aus Pergament oder Papier.

Vom Buch zur Bibliothek

Die Menschen liebten also Geschichten, und es gab schon Bücher, doch einem breiten Lesepublikum standen zwei Hindernisse im Weg:

Dublin Trinity College (Image by Rudy and Peter Skitterians from Pixabay)

Bibliothek des Dublin Trinity College

1. Die meisten Menschen in der Antike und im Mittelalter konnten nicht lesen. So kam dem Vorlesen oder Vortragen eine große Bedeutung zu, und bis ins späte Mittelalter war dies sicher die am meisten verbreitete Form, Bücher zu konsumieren.

2. Der Zugang zu Bibliotheken und damit auch zu Wissen war für Öffentlichkeit begrenzt, ganz anders als heute. Wer etwas nicht wusste und es, warum auch immer, erfahren wollte, musste jemanden fragen, der Zugang zu solchem Wissen hatte. Während dies in der Antike vor allem die großen Herrscher waren, traf das im Mittelalter insbesondere auf Kleriker, zunehmend aber auch niedrigere Adlige oder reiche Bürger zu.

Namensgebung 2: Seit wann ist eine Bibliothek eine Bibliothek?

Eigentlich vom ersten Buch an, denn das aus dem Griechischen stammende Wort Bibliothek bedeutet nichts anderes als eine Bücherkiste (biblion = Buch, theke = Behältnis, Kiste), und in einer solchen bewahrten die Klosterbewohner die zunächst sehr überschaubare, ständig benutzte Anzahl Bücher immer in greifbarer Nähe auf: in der Kirche, in einer Kapelle, in der Sakristei, im Skriptorium oder im Refektorium, wo die Tischlesung stattfand. Im Deutschen tauchte der Begriff allerdings erst nach 1500 auf. Bis dahin nutzte man für die absperrbaren Bücherkisten oder Bücherschränke das Wort Liberei, abgeleitet vom lateinischen Wort liber für „Buch“.

Erst als die Buchbestände wuchsen, erforderte ihre Unterbringung einen eigenen Raum, der zunächst kein spezieller, nur für Bücher geplanter und genutzter Raum war. Man räumte einfach einen vorhandenen Raum leer und füllte ihn wieder mit Büchern. Nach und nach entwickelte sich der eigenständige und dedizierte Bücherraum, der gleichermaßen als Bibliothek und als Büchersaal bezeichnet wurde, bevor die Begriffe ab dem Humanismus getrennte Wege gehen und der Büchersaal zum Teil der übergreifenden Bibliothek wird.

Wie vermehrten Bibliotheken ihren Buchbestand?

Es gab verschiedene Möglichkeiten, um eine Bibliothek zu vergrößern.

  1. Abschreiben im Kloster selbst: Dies war die normale Vorgehensweise, wenn das Manuskript vor Ort verfügbar, also im Bestand oder von einer anderen Bibliothek ausgeliehen, war. Im Fall von wertvollen Büchern, die nicht ausleihbar waren, reisten Mönche auch zur Bibliothek, in der das Manuskript verfügbar war, und schrieben es dort ab.
  2. Tausch von Mehrfachexemplaren oder von entbehrlichen Stücken
  3. Kauf
  4. Schenkung und Vermächtnisse
  5. Aufnahme von Büchern aus Privatbesitz: Dies geschah vor allem bei Eintritt oder Rückkehr ins Kloster, sei es von Novizen, die neu aufgenommen werden, oder von Mönchen nach Abschluss ihrer Universitätsstudien.
  6. Externe Buchproduktion durch Lohnschreiber: Heute gibt es die Verlagsautoren und die Self-Publisher. Früher waren das die Mönche und die Schreibkundigen, die keinem Kloster angehörten, und unabhängig von den klösterlichen Zwängen Manuskripte gegen Geld produzierten – und das anscheinend ziemlich erfolgreich: Schon im 14. Jahrhundert verkauften Lohnschreiber mehr Bücher als von Mönchen geschrieben wurden.

Bibliotheken der Antike

Erste Bibliothek

Als erste Bibliothek gilt die im 7. Jhd. v. Chr. in Ninive, der Hauptstadt des assyrischen Reiches, bestehende Sammlung des Königs Assurbanipal von schätzungsweise um die 10.000 Tontafeln mit etwa 1.500 Texten in akkadischer Keilschrift. Diese beinhalteten religiöse und literarische Überlieferungen, aber auch Berichte von den Finanzen des Palastes und der Regierung.

Leider wurde die Bibliothek um 612 v. Chr. von den Medern und Babyloniern zerstört. Rund 40.000 Scherben wurden Mitte des 19. Jhds. wiederentdeckt.

Bedeutendste Bibliothek der Antike

Bibliothek von Alexandria (Image by O. Von Corven, Public domain, via Wikimedia Commons)

Die Bibliothek von Alexandria (Bild von O. Von Corven)

Im 3. Jhd. v. Chr. gründete Ptolemaios I. die bedeutendste Bibliothek der Antike, die Bibliothek von Alexandria, mit geschätzten 700.000 Schriftrollen, in der sich Wissenschaftler, Gelehrte und Schüler tummelten, darunter Euclid, der Vater der Geometrie, sowie Archimedes, der größte Mathematiker der alten Welt. Im Gegensatz zu anderen ägyptischen Bibliotheken der Zeit, zu denen nur Priester und Schreiber Zugang hatten, war diese Bibliothek offen für jedermann.

Der hellenische Gelehrte und Dichter Kallimachos arbeitete hier mit seinen Schülern ein gut funktionierendes Bibliothekssystem aus. Die Schriften wurden damals schon nach Lyrik, Prosa und Fachbuch eingeteilt. Die Autoren in der jeweiligen Sparte wurden nach dem Anfangsbuchstaben einsortiert. Ebenso wurde ein Bibliothekskatalog über den Bestand aller Schriften angefertigt.

Auch diese Bibliothek wurde vollständig zerstört, nämlich zwischen dem letzten Jhd. v. Chr. (Caesar gegen Pompeius) und der 2. Hälfte des 3. Jhds. n. Chr. (Kaiser Aurelian).

Erste Privatbibliotheken

Zu der Zeit gab es auch schon erste Privatbibliotheken von wohlhabenden Bürgern oder philosophischen Schulen, etwa Aristoteles’ Bibliothek (4. Jhd. v. Chr.), die nach der Eroberung Athens durch den römischen Herrscher Sulla im 1. Jhd. v. Chr. als Kriegsbeute nach Rom gebracht wurde und nicht nur Aristoteles’ Schriften, sondern auch die anderer Verfasser enthielt.

Bereits im 2. Jhd. v. Chr. hatten die Römer schon die Bibliothek des makedonischen Herrschers Perseus geraubt. Da sie allerdings fast nur an der griechischen Kultur und an griechischen Schriften interessiert waren, verschenkten oder vernichteten sie beispielsweise die phönizischen Schriften der Karthager nach der Eroberung. So gingen selbst ohne durch Zerstörung durch Kriege weitere schriftliche Aufzeichnungen für die Nachwelt verloren. 

Erste römische Bibliotheken

Celsus-Bibliothek, Ephesos (Image by PublicDomainPictures from Pixabay)

Die Celsus-Bibliothek in Ephesos aus dem 2. Jh. n. Chr.

Wie in den oben genannten Beispielen waren die ersten römischen Bibliotheken zunächst Kriegsbeute und entstanden erst später im (friedlichen) kaiserlichen Auftrag. Das Ziel war aber nicht nur die Bildung der Menschen, sondern vor allem auch die Erschaffung eines Symbols der Weltmacht Roms.

Augustus war der erste römische Kaiser, der in Rom eine öffentliche Bibliothek eröffnete: 28 v. Chr. installierte er die Bibliotheca Palatina im Apollo-Tempel. Weitere römische Kaiser stifteten in Rom und im gesamten römischen Reich Bibliotheken, so etwa Hadrian, der den Griechen in Athen eine Bibliothek spendierte. Zur Zeit des römischen, ersten christlichen Kaisers Konstantin (4. Jhd. n. Chr.) standen in Rom 28 öffentliche Bibliotheken zur Verfügung.

Erste Buchbibliotheken

Mit der Übernahme des Christentums als Staatsreligion im 3./4. Jhd. n. Chr. kamen die ersten Buchbibliotheken auf, in die die antiken Bibliotheken nach und nach eingegliedert wurden. Die christlichen Bibliotheken unterschieden sich von den älteren durch die Verwendung der buchförmigen Pergamentschriften, die oben genannten Kodizes, statt der gerollten Papyrusschriften. Viele antike Texte wurden bei der Eingliederung auf Pergament übertragen. Andere gingen allerdings irgendwann verloren.

Bibliotheken im Mittelalter

1. Klosterbibliotheken

Klosterbibliothek im Benediktinerstift Admont (Image by Michael Brandl from Pixabay)

Klosterbibliothek im Benediktinerstift Admont

Dass es überhaupt zu einer Fortsetzung des Bibliothekswesens und der Schriftenproduktion kam, lag vor allem am Wegbereiter der Klosterbibliotheken, Cassiodorus. Nach dem Untergang des römischen Reiches im Jahre 476 gründete er im 6. Jhd. n. Chr. das Kloster Vivarium in Süditalien und erklärt gemäß den Regeln in seinem „Lehrbuch der göttlichen und weltlichen Wissenschaften“ das Sammeln und Abschreiben – und ggf. Übersetzen – religiöser und profaner Handschriften, etwa von Philosophen, Rhetoren und Dichtern, zur ausdrücklichen Aufgabe der Mönche.

Auch Benedikt von Nursia, der Gründer des Benediktinerordens, schrieb den Mönchen des Mutterklosters seines Ordens in Monte Cassino tägliches Schriftstudium vor.

Damit wurde aus dem Kloster als Ort der Kontemplation auch ein Ort der Bildung. Dies war der Beginn des mittelalterlichen Klosterbibliothekswesens, welches das Wissen der Antike in die späteren Jahrhunderte übertrug. Frühe Klosterbibliotheken entstanden unter anderem in St. Gallen, Bobbio, Lorsch, Cluny, York und Lindisfarne.

Neben den Klosterbibliotheken entstanden bzw. vermehrten sich im Mittelalter noch die vier folgenden Arten von Bibliotheken.

2. Dombibliotheken

Rom war die mittelalterliche Version der Frankfurter Buchmesse und galt während des gesamten Mittelalters als Büchermarkt, ebenso wie ausländische Universitätsstädte, etwa Bologna mit ca. 5000 Büchern und Paris. In zunehmendem Maße besaßen aber auch die Bischofssitze als kulturelle Mittelpunkte Dombibliotheken zur Ausbildung der Geistlichen. Die Dombibliothek zu Freising wurde bereits 739 n. Chr. gegründet. Wenig später, im Jahre 802, erließ Karl der Große auf der Synode von Aachen eine Bestimmung, welche auch Kirchen und Pfarreien verpflichtete, sich eine kleine Zahl von Büchern zuzulegen.

3. Stadtbibliotheken

Die Verwaltung der Städte im Mittelalter bedingte ein gewisses Wissen und die Beherrschung des Schreibens und Lesens. Auch hier brauchte man also Bücher. Weil sich diese meistens im Rathaus befanden und von den Bediensteten des Rates benutzt wurden, prägte man den Begriff der Rats- oder Stadtbibliothek. Viele Bücher wurden der Ratsbibliothek von Bürgern gestiftet.

4. Universitätsbibliotheken

Als Kollegienbibliotheken bezeichnet man Büchereien, die sich in Schulen befanden, in denen die Professoren und ihre Studenten zusammenwohnten und aus denen schließlich im Hoch- bzw. Spätmittelalter die Bibliotheken für die einzelnen Fakultäten entstanden, aus denen sich wiederum die Universitätsbibliotheken herausbildeten. Durch die Inanspruchnahme von Lohnschreibern wuchsen sie vergleichsweise schnell. Um 1430 konnte die Universität Heidelberg, gegründet 1386 und damit Deutschlands älteste Universität, bereits rund 870 Bücher vorweisen.

5. Privatbibliotheken

Mit dem rechtlichen und finanziellen Erstarken des Bürgertums im späten Mittelalters vermehrten sich auch die Bibliotheken privater Sammler, die allerdings oft Gelehrtenbibliotheken statt reiner Privatbibliotheken waren.

Petrarcas und Boccaccios Privatbibliotheken aus dem 14. Jhd. gingen durch fürstliche Förderung in öffentliche Bibliotheken über. Die Herzog-August-Bibliothek, gegründet 1572 in Wolfenbüttel war zur Zeit des Todes von Herzog August 1666 eine der berühmtesten fürstlichen Büchersammlungen und wohl die größte Bibliothek der Welt: rund 35.000 Bände mit 135.000 Titeln, die den ganzen Reichtum der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literatur widerspiegelten. Nach dem Neubau durch Gottfried Wilhelm Leibniz Anfang des 18. Jhds. war sie das erste selbstständige profane Bibliotheksgebäude in Europa.

Mehr Bibliotheken, mehr Bücher, mehr Probleme: Katalogisierung und Bücherklau

Viele Menschen konnten bis spät ins Mittelalter nicht oder nicht ausreichend lesen, doch es gab trotzdem ausreichend Besucher für die mittelalterlichen Bibliotheken. Dies waren natürlich hauptsächlich jene, die zu der jeweiligen Gemeinschaft gehörten, welche die Bibliothek betrieb, also Geistliche, Studenten oder reiche Bürger. Daneben erlaubte man auch Fremdbenutzungen durch bekannte oder empfohlene Personen im Rahmen eines Besuchs in der Bibliothek oder auch durch Ausleihe. Eine solche Ausleihe erfolgte durch Boten, oft auf weite Entfernungen. Als Pfand konnte ein gleichwertiges Buch dienen.

Katalogisierung

Um den Überblick über die wachsende Anzahl Bücher zu behalten, begann man im Mittelalter, die Bücher durch folgende Maßnahmen zu kennzeichnen und zu katalogisieren:

  1. Eintrag eines Besitzervermerkes am Anfang oder am Ende des Buches: Für ein Kloster war das meist der Name des Schutzheiligen, für Privatleute Name, Beruf, Geburts- und Wirkungsort, später noch das Wappen oder ab Ende des 15. Jhds. ein entsprechendes Exlibris, also ein in das Buch eingeklebter Zettel oder eingedruckter Stempel mit den notwendigen Angaben.
  2. Sortierung:
    1. nach der Wertigkeit bzw. chronologischer Reihenfolge der Bücher, wie Isidor von Sevilla es vorgab, also zuerst die Bibel und dazugehörige Schriften, dann Texte der Kirchenväter, der zeitgenössischen Theologen, der antiken Autoren und zum Schluss die Schriften der „Artes liberales“, der freien Künste
    2. nach dem noch heute gültigen Prinzip des dreiteiligen Katalogs, das in St. Gallen bereits im 9. Jhd. verwendet wurde, also Standort, Verfasser und Sachkatalog
  3. Einsatz von Tafelkatalogen: Diese wurden bis ca. 1500 als „Registrum“ oder „Index“ bezeichnet und bestanden aus beschriebenen Pergamentblätter auf Holz, das an der Stirnseite der Bücherpulte mit der Liste der darin befindlichen Bücher angebracht war.
  4. Einsatz von Kästchen mit Ausleihzettel

Bücherklau

Man hatte nun sämtliche Bücher im Griff, nicht aber deren menschliche Benutzer. So manches Mal hielten sich diese nämlich nicht an Ausleihverbote oder an Rückgabeverpflichtungen. Dass der Bücherklau kein Phänomen der unteren Schichten war – die ja ohnehin weder lesen konnten noch Zugang zu den Bibliotheken hatten –, zeigt das Beispiel von Kaiser Otto II. (955-983), der sich aus der Klosterbibliothek von St. Gallen die schönsten Bücher mitnahm und nie wieder zurückgab. Im 15. Jahrhundert waren sogar professionelle Handschriftenjäger unterwegs, die mit Empfehlungsschreiben von Bischöfen oder Päpsten aus den Klosterbibliotheken die besten Stücke mitnahmen.

Kuriose Bücher aus dem Hochmittelalter

Kettenbuch (Michail Jungierek, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Kettet die Bücher: Kettenbuch mit Sicherung gegen Bücherklau (Bild von Michail Jungierek, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)

Nicht zuletzt, um dem Bücherklau Einhalt zu gebieten, kam man im 13. Jhd. auf die Idee, Bücher an die Pulte anzuketten, auf denen sie zwecks schnelleren Zugriffs ausgelegt waren. So entstanden die „libri catenati“, die Kettenbücher des Mittelalters. Das Benediktinerkloster Schaffhausen besitzt noch rund 40 Kettenbücher in der Ministerial-Bibliothek.

Es gab auch ein Kettenbuchäquivalent für Privatpersonen: Was heute E-Books und Google auf dem Smartphone sind, waren damals die so genannten Gürtelbücher, in denen das Wissen der Welt aufbewahrt wurde. Diese Bücher waren mit Leder gebunden, das sich am Gürtel befestigt werden konnte. Dies ermöglichte der bürgerlichen Bevölkerung, Bücher, hauptsächlich religiöse Texte, immer dabei zu haben.

Kettenbuch Pergamentflicken (Public domain, via Wikimedia Commons)

Detail eines Kettenbuches: Pergamentflicken über der angebrachten Kette im Buchrücken

Bibliotheken damals und heute

Mittelalterliche Bibliotheken schwankten im Umfang zwischen einigen Dutzend und zweitausend Bänden, wobei zwei- bis dreihundert Bände gut und fünf- bis sechshundert Bände als sehr gut ausgestattet galten.

Eine durchschnittliche öffentliche Bibliothek in Deutschland verfügt heutzutage über 30.000 Medieneinheiten (Quelle: bibliotheksportal.de), eine große Bibliothek wie die Stadtbibliothek München im Gasteig satte 1,5 Millionen Medien, wobei sie noch weit entfernt ist von den größten Bibliotheken, die sich im doppelstelligen Millionenbereich bewegen.

Bei so viel Auswahl ist sicher auch für Sie etwas dabei. Also besuchen Sie mal wieder Ihre Stadtbibliothek und stöbern sie im analogen und digitalen Angebot!


Über die Autorin

Birgit Constant

Birgit Constant ist promovierte Mediävistin, hat elf Sprachen gelernt und arbeitet seit 2014 als freie Autorin, Texterin und Lektorin in Landshut. Sie schreibt historische Romane für Leser, die geschichtlich und sprachlich ins Mittelalter eintauchen wollen, und hat einen Ratgeber für Nachwuchsautoren veröffentlicht.

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