Muslime in Frankreich im Mittelalter

14. April 2023

Birgit Constant

Wenn man durch Andalusien reist, ist der mittelalterliche muslimische Einfluss in Spanien selbst fast sechshundert Jahre nach Ende der christlichen Reconquista 1492 noch immer unübersehbar. Eine ähnlich flächendeckende Besiedlung wie in Spanien gab es im angrenzenden Nachbarland Frankreich zwar nie, doch auch dort wandelten einst muslimische Unfreie, Kaufleute, Krieger und Gelehrte. Tauchen wir gemeinsam ab in die Welt der Muslime in Frankreich im Mittelalter!

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Historischer Hintergrund

Der Islam im mittelalterlichen Spanien

Anfang des 8. Jahrhunderts landet ein 1700 Mann starkes Berberheer in der Nähe von Gibraltar auf der iberischen Halbinsel und erobert innerhalb von nicht einmal fünfzehn Jahren fast das gesamte Land. Nur einige Gebirgsfestungen und Asturien im Norden (Schlacht bei Covadonga 722) trotzen den muslimischen Besetzern, deren Herrschaftsgebiet auch heute noch als „Al-Andalus“ (im Foto die Innenhalle der berühmten Mezquita-Catedral der damaligen Hauptstadt Cordoba) bekannt ist.

Vierzig Jahre nach der Eroberung von Santiago de Compostela wird die Stadt 1037 zurückerobert – das Jahr, welches alternativ zum Jahr 722 als Beginn der Reconquista, also der Rückeroberung Spaniens durch die Christen, angesehen wird.

Neue Berber braucht das Land

Nach dem Fall von Toledo rufen die maurischen Herrscher Spaniens den Führer der Almoraviden in Nordafrika herbei, um das Vordringen der christlichen Truppen zu stoppen. Die neuen Berber übernehmen 1090 die Herrschaft über ganz Al-Andalus, behalten aber ihren Hauptsitz in Marrakesch.

Schon Mitte des 12. Jahrhunderts segelt ein weiterer Berberstamm über das Mittelmeer: Die Almohaden aus dem Atlasgebirge übernehmen Marrakesch als Machtzentrum und bauen in ihrem neuen europäischen Reich bis zum Ebro in der Nähe von Tarragona große Moscheen, Herrenhäuser, Paläste und den über 100 Meter hohen Turm der Giralda in Sevilla. Wie schon ihre Vorgänger verwenden auch sie geometrische Formen, um Bauwerke zu schmücken.

Christliche Rückeroberung

1212 wendet sich mit der Schlacht bei Las Navas de Tolosa das Schicksal der muslimischen Bevölkerung in Europa, als die christlichen Truppen der verbündeten Königreiche von Kastilien, Navarra, Aragon und Leon, unterstützt von französischen Einheiten, gegen das muslimische Almohadenheer den Sieg davontragen. In den dreißig Jahren zwischen 1236 und 1265 müssen die Muslime Cordoba, Valencia, Sevilla, die Algarve und Murcia aufgeben. Ihnen bleibt vorerst das Sultanat von Granada, ein kastilischer Vasallenstaat, über den sie noch bis ans Ende des 15. Jahrhunderts, kurz nach dem Rückfall von Malaga in die Hände der Katholischen Könige (los Reyes Católicos, Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragonien), herrschen. Der letzte arabische Herrscher in Al-Andalus kapituliert am 2. Januar 1492.

Muslime im mittelalterlichen Frankreich

Kaum haben die Berber nach Spanien übergesetzt, kommt es in den ersten dreißig Jahren des 8. Jahrhunderts auch zu Einfällen in die südlichen und südwestlichen Gebiete des Frankenreichs. Mit Narbonne als Stützpunkt gehen sie auf Beutezug durch südfranzösische Städte, darunter Carcassonne, Béziers, Agde und Nîmes, aber sie verschonen auch weiter entfernt gelegene Ziele wie Bordeaux und Lyon nicht.

732 gelingt es dem fränkischen Hausmeier Karl „Der Hammer“ Martell, das Vordringen der Araber bei Tours und Poitiers zu stoppen, wofür er später den Titel „Retter des Abendlandes“ erhielt.

Muslimischer Fokus auf Südfrankreich

Das bedeutet aber nicht, dass die Muslime sich daraufhin aus dem Frankenreich zurückziehen. Ganz im Gegenteil belegen mittelalterliche Texte sowie archäologische Funde im frühen und Hochmittelalter eine andauernde oder neue muslimische Präsenz im heutigen Languedoc-Roussillon bzw. in der Provence, etwa in Städten wie Narbonne, Avignon, Arles, Marseille, Montpellier und Fraxinet (auch Fraxinetum, das heutige La Garde-Freinet in der Nähe von St. Tropez).

Muslimische Bevölkerungsgruppen

Anfangs Eroberer, Krieger und Plünderer, mischen sich schon bald Gelehrte, Händler und Studenten unter die Muslime, die sich über die iberische Halbinsel und auch im Süden des Frankenreichs ausbreiten. Im Hochmittelalter finden sich mit der zunehmenden Reconquista und den Kreuzzügen auch vermehrt muslimische Sklaven. Insbesondere bei dieser letzten Gruppe handelt es sich oft um Frauen, die als muslimische Dienstmädchen an wohlhabende Christen oder Kirchenmänner verkauft werden, manchmal für nicht mehr als den Preis eines Maultiers. Zwar wurden diese andersgläubigen Bediensteten nicht notwendigerweise zum Christentum bekehrt, aber weder sie noch ihre Kinder konnten auf Freilassung hoffen.

Insbesondere mit der zunehmenden christlichen Rückeroberung sahen sich Muslime auch im mittelalterlichen Frankreich immer mehr mit Verfolgung und Diskriminierung konfrontiert. Sie mussten entweder zum Christentum konvertieren oder das Land verlassen, ein Schicksal, das auch vielen Juden damals nicht erspart blieb.

Doch ihre Spuren bleiben bis heute: So leisteten muslimische Gelehrte und Wissenschaftler beispielsweise wichtige Beiträge zu Bereichen wie Mathematik, Medizin und Philosophie, und muslimische Handwerker und Kunsthandwerker spielten eine Rolle bei der Entwicklung der französischen Kultur und Architektur.

Blütezeit islamischer, jüdischer und christlicher Wissenschaft und Kultur

Die Großstädte von Al-Andalus – Cordoba, Sevilla, Granada – entwickelten sich zu Zentren der interkulturellen Zusammenarbeit zwischen Moslems, Juden und Christen, in denen das weit fortgeschrittene orientalische Wissen nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich veröffentlicht, diskutiert, übersetzt und weitergegeben wurde. Insbesondere muslimische Wissenschaftler und Ärzte spielten eine große Rolle in einer Zeit, in der das christliche Wissen in den Bereichen Medizin, Physik, Mathematik und Astrologie minimal war und man lieber Gott um Hilfe anrief, als selbst auf der Basis von Fakten und eigenen Untersuchungen und Überlegungen die Welt zu verstehen und der Menschheit Nutzen zu bringen.

Als unerlässlich bei der Verbreitung orientalischer Kenntnisse und Errungenschaften in Europa erwiesen sich dabei nicht nur arabischsprachige Juden, die die islamischen Schriften ins Hebräische und Lateinische übersetzten, sondern auch zahlreiche Frauen in den Diensten der arabischen Herrscher. Für die Große Bibliothek des Kalifen in Cordoba und Medina Azahara, die angeblich satte 400.000 Bücher und Manuskripte umfasste, schrieben, kopierten und übersetzten im 10. Jahrhundert beispielsweise mehr als 170 gelehrte Frauen Bücher und Manuskripte, darunter Lubna de Córdoba, eine andalusische Intellektuelle, Mathematikerin und Dichterin. Zum Vergleich: Als große Bibliotheken des christlichen Europas zählten bereits Einrichtungen mit 500 bis 1000 Büchern.

Über die Autorin

Birgit Constant

Birgit Constant ist promovierte Mediävistin, hat elf Sprachen gelernt und arbeitet seit 2014 als freie Autorin, Texterin und Lektorin in Landshut. Sie schreibt historische Romane für Leser, die geschichtlich und sprachlich ins Mittelalter eintauchen wollen, und hat einen Ratgeber für Nachwuchsautoren veröffentlicht.

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