5 Mythen über Ritter und Waffen im Mittelalter

23. Mai 2022

Birgit Constant

Mythen über das Mittelalter, insbesondere über Ritter und Waffen im Mittelalter, gibt es viele. Schuld daran sind oft Spielfilme, in denen sich zwei von Kopf bis Fuß gepanzerte Ritter im Turnier vor großem Publikum messen. Oder in denen sie in langen Schwertkämpfen Klinge gegen Klinge klirren lassen und sich gegenseitig auf die Schilde schlagen, dass es nur so kracht. In diesem Beitrag räume ich mit fünf gängigen Mythen über Ritter und Waffen im Mittelalter auf, über die ich im Zuge meiner Recherche für das frühmittelalterliche England gestolpert bin.

Mythos Nummer 1: Das Schwert war die bevorzugte Waffe eines Ritters.

FALSCH. Die bevorzugte Waffe im Mittelalter, nicht nur bei Angelsachsen und Normannen, war der Speer, entweder geworfen oder von oben ins Gesicht, insbesondere die Augen, in den Hals oder Oberkörper gestochen.

Ein Speer ging problemlos durch Schilde und Kettenhemd, hatte aber normalerweise eine Querstange unter der Spitze, um ein zu tiefes Eindringen zu verhindern. Schließlich wollte man den Speer ja wieder leicht aus seinem Opfer herausziehen können, um das nächste aufzuspießen.

Speere, die in Schilden feststeckten, konnten den Schild derart unförmig werden lassen, dass dessen Träger ihn wegwarf, um ungehindert – und ungeschützt! – weiterkämpfen zu können.

Das Schwert wurde vor allem von normannischen Adligen (Reitern) getragen, aber erst gezogen, wenn der Speer kaputt oder verloren war. Allgemein schlug man mit dem Schwert von oben – die Normannen gingen im Gegensatz zu den Angelsachsen beritten in den Kampf – auf ungeschützte Stellen am Oberkörper des Gegners. Gestoßen wurde mit dem Schwert normalerweise nur, um dem verwundeten Gegner den Todesstoß zu versetzen.

Mythos Nummer 2: Schwertkämpfer zielten im Kampf vor allem auf Schild, Schwert und den Helm des Gegners.

FALSCH. Das Parieren eines Schlags mit der Schwertschneide zerstört die Klinge, daher war diese Form der Verteidigung selten bzw. inexistent. Ebenso ungesund für die Klinge sind wiederholte Schläge auf den Helm des Gegners, obgleich diese unweigerlich zu ordentlichen Kopfschmerzen, Benommenheit und eventuell schwerwiegenderen inneren Verletzungen des Feindes führen.

Auch auf einen hölzernen Schild zu schlagen, war riskant, da das Schwert im Pappel- oder Lindenholz steckenbleiben konnte. Und nicht zuletzt sind auch Hiebe auf Kettenhemden eher wenig effizient, da kein Schwertschlag sie durchtrennen kann, und außerdem schlecht für die Schwertschneide.

Aber wohin zielte man dann im Kampf? Das kommt darauf an, ob man zu Pferd oder zu Fuß unterwegs war und welchen Schutz man trug. Wie schon erwähnt, schlug ein berittener Krieger vor allem auf den Kopf eines Fußsoldaten. Standen sich zwei Reiter oder zwei Fußsoldaten gegenüber, gab es vielversprechendere Ziele, etwa ungeschützte Stellen wie Gesicht, Hals, Arme, Beine oder auch das Pferd.

Mythos Nummer 3: Gegen ein Schwert half keine Rüstung.

JEIN. Es ist fraglich, ob ein Schwert tatsächlich Kettenhemden und Rüstung durchdringen konnte. Sicher ist, dass das Gewicht einer Schwertschneide und der Schwung des Schlages bzw. der daraus folgende Aufprall dazu ausreichten, um Knochen zu brechen und innere Organe zu zerstören. Einen ungeschützten Schädel konnte ein Schwert spalten, wobei das Opfer danach durchaus noch weiterleben konnte – Grabfunde mit nachgewachsenem Knochenmaterial beweisen dies.

Kettenhemd oder Rüstung halfen also zwar gegen offene Wunden, konnten aber keine innerlichen Verletzungen aufgrund von gezielten Schlägen verhindern. Um auch solche Schläge abzufangen oder zumindest abzumildern, trugen Ritter unter Kettenhemd und Rüstung eine zusätzliche Polsterung aus Wolle oder Vlies, die zwischen zwei Leinen-, Filz- oder Lederlagen eingebettet war.

Mythos Nummer 4: Ein Kettenhemd schützte seinen Träger zuverlässig.

FALSCH. Kettenhemden schützten vor vielen Waffen im Mittelalter, insbesondere was offene Wunden anging, waren jedoch nutzlos gegen den Stoß mit einem Speer. Auch größere Scramasaxe – Schwerter mit einseitigen Klingen und einer nadelscharfen Spitze – konnten ähnlich effektiv sein wie Speere, wenn ihr Besitzer mit ihnen zustieß. Ein einfacher Schlag auf ein Kettenhemd würde statt offener Wunden eher Knochen brechen oder Blutergüsse hervorrufen, wogegen ohne Rüstung von einem Arm, Bein oder Hals nichts mehr zu retten wäre.

Mythos Nummer 5: Schwerter konnten zwar tödlich sein, aber die fürchterlichsten Verletzungen verursachten stumpfe Waffen wie Morgenstern oder Streitkolben. 

FALSCH. Die beidhändige Axt der Huscarles, der Elitesoldaten und Leibwächter Englands und Skandinaviens, die beim Kampf normalerweise ihren Schild auf dem Rücken hängen hatten, ging glatt durch Pferd und Reiter.

Über die Autorin

Birgit Constant

Birgit Constant ist promovierte Mediävistin, hat elf Sprachen gelernt und arbeitet seit 2014 als freie Autorin, Texterin und Lektorin in Landshut. Sie schreibt historische Romane für Leser, die geschichtlich und sprachlich ins Mittelalter eintauchen wollen, und hat einen Ratgeber für Nachwuchsautoren veröffentlicht.

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