Wenn einer im Mittelalter eine Reise tat, dann machte er das normalerweise nicht freiwillig und nur auf dem Weg des geringsten Widerstands. Das bedeutete selbstverständlich immer noch nicht, dass Reisen zum Vergnügen wurde. Denn Reisen im Mittelalter waren vor allem mühsam, eine Gefahr für Leib und Leben und sehr, sehr zeitraubend.
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Reisen im Mittelalter waren nichts für schwache Nerven
In einer Zeit mit Flugzeug, ICE und schnellen Autos kann man nur schwer erahnen, wie lange man im Mittelalter brauchte, um sich von A nach B zu bewegen. Zum Glück bestand zum Reisen im Mittelalter für die unteren Stände meist keine Notwendigkeit. Man wurde an einem Ort geboren, wuchs dort auf, lebte dort und starb dort. Punkt.
Wer doch einmal irgendwohin musste, war froh, wenn er heil angekommen war, denn Reisen war nicht nur ungemütlich, sondern auch gefährlich: Außer den relativ gut ausgebauten ehemaligen Römerstraßen waren die Wege und Straßen miserabel, die Strecken bis zur nächsten Ortschaft lang und voller Angriffsmöglichkeiten für wilde Tiere (Wildschweine, Bären, Wölfe) oder geldgierige Wegelagerer und Räuber.
Wie schützte man sich auf einer Reise?
Um auf Landwegen Risiken zu vermindern, schütze man sich durch das Tragen einfacher Kleidung und/oder reiste ohne jegliche Wertgegenstände: Plünderer vergriffen sich vorzugsweise an wohlhabendem Volk, etwa an solchen, die auf Packtieren Zelte, Bettzeug und Proviant mit sich führten und so eindeutig als Leute mit Geld zu erkennen waren.
In manchen Gegenden gab es gerade für Reisende mit wertvollem Gepäck oder schützenswerte Reisende Unterstützung durch das sogenannte Geleit. Dies waren bewaffnete Wegbegleiter, die dem persönlichen Schutz dienen sollten. Sie konnten jedoch nur von einem meist königlichem Geleitsherren, zur Verfügung gestellt werden und kosteten die Reisenden auf ihren Wegen viel Geld. Vor Betrügern war man aber auch nicht sicher. Das Taschengeleit, wie es bezeichnet wurde, forderte Gelder ohne jegliche Gegenleistung zu erbringen. Aus diesen Gründen bildete man Reisegruppen, bzw. nahm Umwege in Kauf.
Wo übernachtet man?
Reisende hatten im Mittelalter Glück, denn eigentlich konnten sie überall unterkommen. Man war aus christlichen Gründen der Hilfe und Nächstenliebe dazu verpflichtet, Leute aufzunehmen. Im 11. Jahrhundert gab es noch keine spezialisierten Hotels oder Gasthöfe mit Fremdenzimmern. Insbesondere die Klöster boten Unterschlupf, vor allem für Pilger, aber auch Privatleute öffneten (zwangsweise) ihre Pforten, wenn ein müder Wanderer bei ihnen anklopfte und um eine Herberge bat.
Herrscher und Adlige kehrten bei ihresgleichen ein, sofern sie nicht in eigenen (Königs-) Höfen oder Pfalzen übernachten konnten. Ähnlich hielten es Äbte und Bischöfe, die zudem an für sie wichtigen Orten und an den dahinführenden Wegen nicht selten eigene Höfe besaßen. Gebildete, Handwerker und Künstler erwarteten, bei Standesgenossen bzw. Berufskollegen Aufnahme zu finden.
Gerade bei größeren Reisegruppen konnte es unmöglich sein, in einem Kloster unterzukommen, da nicht alle Klöster entsprechend dimensionierte Gästeräume hatten. In diesem Fall war die erste Anlaufstelle daher der Gutshof eines Adligen, wo die Reisenden mit anderen Hofbewohnern in der großen Halle schlafen konnten.
Wie reiste man im Mittelalter?
Sollte eine Reise unvermeidbar sein, beispielsweise für Kaufleute, Pilgerer, Boten oder Ritter, so hatte man je nach Ziel die Wahl zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln: auf dem Lande zu Fuß (so wie das Gros der Reisenden), auf dem Ochsenkarren, mit der Kutsche oder zu Pferd; auf dem Wasser in Schiffen verschiedener Größen.
Angenommen, Sie reisen von München nach Hamburg, ca. 800 km. Mit dem Flugzeug benötigen Sie dafür ein paar Stunden, mit dem Zug ca. 6 Stunden, mit dem Auto ca. 7 Stunden. Es handelt sich also um eine Strecke, die heutzutage in einem Tag erledigt ist. Was glauben Sie, wie lange ein Reisender im Mittelalter dafür gebraucht hätte?
- Zu Fuß
- Zu Pferd
- Mit dem Schiff (gut, das wird bei dieser Strecke etwas schwierig ... nehmen wir stattdessen den Seeweg von Hamburg nach London.)
Für die geschätzten Durchschnittswerte darf man für Reisende auf dem Land im Schnitt nicht mehr als 4 bis 6 Stunden tatsächliche Reisezeit ansetzen. Schließlich brauchten Mensch und Tier angesichts der erbärmlichen Straßen und den Reisegefahren zwischendurch Pausen oder mussten mit Verzögerungen durch äußere Umstände (Krankheiten, Verletzungen, Wetter, Gelände, ...) rechnen. Schauen wir uns die mögliche Reisezeit einmal genauer an:
- Zu Fuß: Die meisten Reisenden waren zu Fuß unterwegs und legten ca. 4 bis 6 km/h zurück. Bei einer Tagesleistung von 24 bis 36 km hätte man für die Strecke also zwischen 3 und 5 Wochen benötigt.
- Zu Pferd: Obwohl ein Pferd im Galopp durchaus das Drei- oder Vierfache eines Fußgängers erreicht, kann es diese Geschwindigkeit nicht den ganzen Tag durchhalten. Gut das Doppelte, also 50 bis 60 Tageskilometer, sind aber möglich gewesen - dies hätte übrigens damals auch ein speziell ausgebildeter Läufer geschafft. Das Ziel hätte man also nach ungefähr zwei Wochen erreicht. Eilboten schafften es im Spätmittelalter mit Pferdewechsel immerhin auf 80 bis 100 km pro Tag und wären so etwas mehr als eine Woche zwischen den beiden Metropolen unterwegs gewesen. Den Rekord zu Fuß bzw. zu Pferd halten anscheinend die indischen Stafettenläufer des 14. Jahrhunderts sowie die mongolischen Pferdestaffetten aus dem 13. Jahrhundert, die es auf 300 bzw. 375 km pro Tag bringen.
- Mit dem Schiff: Ein Flussschiff schaffte flussabwärts etwa 100 bis 150 km pro Tag, Segelschiffe konnten zwischen 120 und 200 km täglich fahren. Sie hätten also ihr Ziel unter günstigen Umständen innerhalb einer Woche erreicht.
Kutschen als Transportmittel galten insbesondere für gesunde Männer als verpönt. Darin reisten normalerweise Frauen, Kranke und Verbrecher, die in den zwei- oder vierrädrige Gefährten mit quietschenden Achsen und ohne Federung auf den Straßen durchgeschüttelt wurden.
Wer es sich irgendwie leisten konnte, wählte als bevorzugtes Reisemittel das Pferd und nahm sein zu transportierendes Hab und Gut auf Packtieren mit.
Mehr zu Reisen im Mittelalter
Eine Übersicht über Reisegeschwindigkeiten im Mittelalter findet man bei Oliver H. Herde sowie in: Kleine Enzyklopädie des deutschen Mittelalters.
Einen schönen Einblick ins Reisen im Mittelalter allgemein bietet die Seite über den weitgereisten Philosophen und Logiker Ramon Llull.
Reisen im Mittelalter waren wahrlich ein Abenteuer voller Risiken und Herausforderungen. Von wilden Tieren bis hin zu Wegelagerern – die Straßen waren alles andere als sicher. Selbst mit Geleitschutz und einfacher Kleidung blieb die Gefahr bestehen. Ein Blick zurück in eine Zeit, in der Reisen nichts für schwache Nerven war.
Wie so vieles im Mittelalter, nicht wahr? Und trotzdem war anscheinend auf den Straßen trotz der Gefahren einiges los.
Toller Artikel, danke! Ich habe in meinen Aufzeichnungen noch zwei Links gefunden über Langstreckenlauf.
– https://de.wikipedia.org/wiki/Tarahumara#L%C3%A4ufer : Die Tarahumara (Mexiko) laufen bis zu 170km durch Schluchten ohne anzuhalten.
– https://de.wikipedia.org/wiki/Chaski : Die Läufer des Inkareichs, Chaski genannt, überbrachten Nachrichten innerhalb weniger Tage über Tausende von Kilometern.
Wobei man immer unterscheiden muss, ob die Person selbst reist (wie hier in Ihrem Artikel) oder ob „nur“ eine Nachricht oder Ware überbracht wird.
Vielen Dank für die ergänzenden Links, Charlotte! Ich habe gleich mal reingeschaut – so ohne Gepäck reist es sich schon etwas schneller, zumal wenn einen der Hunger treibt. Ein fitter Mensch im damaligen England konnte übrigens anscheinend zu Fuß bei guten Wetter- und Lichtverhältnissen auch mal 70 km pro Tag schaffen. Leider weiß ich nicht, wie viele Tage hintereinander man das durchhalten konnte, aber mit solch einem Marschtempo wäre man in weniger als 10 Tagen von London nach Edinburgh gewandert.