Sprache in England im Mittelalter: Was Domesday Book uns erzählen kann

7. März 2023

Birgit Constant

Mit der Sprache in England im Mittelalter ist es so eine Sache, und zwar schon lange vor der normannischen Eroberung im Jahre 1066. Verschiedenste altenglische Dialekte, wie Westsächsisch oder Northumbrisch, mischten sich mit den altnordischen Varianten der Wikingernachfahren, meist Norweger oder Dänen, und in jenem Jahr kam dann auch noch das Normannisch der adligen Besetzer dazu.

More...

Zu keiner Zeit gab es die eine Sprache in England im Mittelalter

Bereits durch die Kontakte zwischen Wikingern und Angelsachsen gingen die Endungen im Altenglischen langsam verloren und die Grammatik vereinfachte sich, damit man sich im alltäglichen Leben miteinander verständigen konnte.

Die Normannen hatten es da schwerer, da sie eine Sprache mitbrachten, die nicht derart eng mit den anderen Sprachen auf der Insel verwandt war, als dass man sich so einfach hätte verstehen können. Normannisch gehört wie Altfranzösisch zur romanischen Sprachfamilie, während Altnordisch und Altenglisch dem germanischen Zweig angehören. So verständigten sich die Normannen untereinander in Anglonormannisch, nutzten für offizielle Dokumente Latein und überließen das Altenglische den alltäglichen Gesprächen der großen Mehrheit des Landes: der bäuerlichen Bevölkerung und den wenigen verbliebenen angelsächsischen Adligen und Kriegern. So war Sprache in England im Mittelalter eigentlich ein Ungetüm aus drei verschiedenen Sprachen. Aber wie überkam man nun Sprachbarrieren, auf die man unweigerlich immer wieder stieß?

Die Lösung war damals wie heute Mehrsprachigkeit, und es gab vor allem unter den Klerikern zahlreiche Männer, die mehrerer Sprachen beherrschten. Ganz besonders wichtig wurde diese Fähigkeit zwanzig Jahre nach der normannischen Eroberung, denn da gab es eine große Umfrage des Königs.

Sprache in England im Mittelalter als Schlüssel zu den Ressourcen des Landes

Wilhelm der Eroberer wollte nämlich wissen, wie es um sein Königreich stand und ordnete eine ausführliche Bestandsaufnahme an. Dazu schickte er zwischen Dezember 1085 und August 1086 sieben oder acht Gruppen von Kommissaren los, die von Region zu Region zogen und gegen erheblichen öffentlichen Widerwillen sämtliche Angaben über Orte, Gebäude, Grundbesitz sowie dort lebende Menschen und Tiere bis hin zum kleinsten Schwein oder der Anzahl aller Aale in den jeweiligen Gewässern aufschrieben. Diese Bestandsaufnahme, anfangs schlicht descriptio, also die Beschreibung (Englands), genannt, ist ein ziemlich beeindruckender Wälzer geworden, auch wenn die Gesandten alles in einem sehr abgekürzten Latein notierten.

Das Problem vor Ort war nun aber, dass die königlichen Kommissare nur Normannisch oder Lateinisch sprachen, die Bewohner in den Orten zumeist aber nur Altenglisch. Die Männer des Königs waren daher auf jemanden angewiesen, der ihre Fragen und die Antworten der Bewohner in die jeweils andere Sprache übersetzte. Diese Rolle übernahmen meist der Dorfpfarrer und der Vogt oder eben jene, die aus irgendwelchen Gründen beide Sprachen beherrschten, etwa Söhne normannischer Barone, die eine angelsächsische Mutter oder Amme hatten.

Um sicherzustellen, dass alles korrekt und unparteiisch ablief – denn König Wilhelm legte Wert darauf, als legitimer Erbe von Eduard dem Bekenner und nicht als fremder und unrechtmäßiger Thronräuber zu erscheinen –, wurde außerdem vor Ort eine Jury aus normannischen und englischen Untertanen zusammengestellt, die gemeinsam mit den Sprachmittlern die gewünschten Informationen liefern sollte.

Woher kommt der Name „Domesday Book“?

Die Fragen selbst waren sehr detailliert und reichten vom Namen des Besitzers und der Größe und Ausstattung des Landes – also Wald, Weiden, Grasland, Fischteiche, Mühlen, Kirchen und so weiter – über die Anzahl und Art der dort lebenden Personen – beispielsweise freie Männer oder Leibeigene – bis hin zur Anzahl und Art der dort gehaltenen Tiere. Wenn man bedenkt, was für eine Menge es aufzuschreiben gab und dass Papier damals ziemlich teuer war, kann man sich vorstellen, dass die zusammengetragenen Antworten ganz anders aussehen als viele der kunstvoll geschmückten und großzügig geschriebenen Manuskripte, die die Mönche sonst herstellten. Und wenn man weiß, wie viele Einzelheiten über jeden Ort und fast jeden Menschen für immer festgehalten sind, dann ähnelt es ein bisschen der Auflistung der Sünden am Tag des Jüngsten Gerichts, oder nicht? Deswegen ist „die Schriftrolle des Königs“ oder „das große Buch von Winchester“, wie die Aufzeichnungen im Laufe des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts ebenfalls genannt wurden, heute überall nur noch unter dem Namen bekannt, den ein besorgter Zeitgenosse 1221 erstmals schriftlich festgehalten hat: Domesday Book.

Domesday Book heute

Domesday Book besteht aus zwei Bänden, einem kleinen Buch mit den Daten für Essex, Norfolk und Suffolk sowie einem großen Buch mit den restlichen Grafschaften, für die Daten gesammelt wurden. Keine Aufzeichungen gibt es für London, Winchester, Northumberland, Durham, den Nordwesten Englands und Wales außerhalb seiner Grenzregionen.

Ursprünglich wurde Domesday Book in der königlichen Schatzkammer in Winchester aufbewahrt, vom 13. bis 19. Jahrhundert in Westminster, 1859 zog es nach London, 1996 schließlich ins Nationalarchiv in Kew, Richmond upon Thames (bei London) um.

Wer mal reinschauen möchte, kann dies auf der hervorragenden Website des Open-Domesday-Projektes tun.

Über die Autorin

Birgit Constant

Birgit Constant ist promovierte Mediävistin, hat elf Sprachen gelernt und arbeitet seit 2014 als freie Autorin, Texterin und Lektorin in Landshut. Sie schreibt historische Romane für Sprachbegeisterte und hat einen Ratgeber für Nachwuchsautoren veröffentlicht.

Ähnliche Beiträge:

  • Dann ist die englische Grammatik deswegen so einfach, weil die Sprechenden die komplizierten Sachen einfach weggenuschelt haben? Sehr interessant! Von dem Domesday-Buch hatte ich schon mal gelesen, aber hier ist es sehr anschaulich erklärt. Danke dafür!

    • Weggenuschelt und wegrationiert zum Zwecke der gegenseitigen Verständigung – so könnte man das in der Tat passend zusammenfassen. Das hat zumindest die meisten Endungen und damit auch Fälle abgeschafft. An der Schreibung ist diese Vereinfachung leider (fast) spurlos vorübergegangen.
      Schön, dass der Hintergrund zum Domesday Book klarer geworden ist.

  • {"email":"Email address invalid","url":"Website address invalid","required":"Required field missing"}
    >